30. Juli 2021
Am Anfang steht meist das Trauma
- Erstellt: 05. Januar 2022

WOLFGANG BEST
Eigentlich bietet das Sprunggelenk beste Voraussetzungen für die Arthroseforschung: Im Gegensatz zum Hüft- oder Kniegelenk gibt es meist einen eindeutigen Startpunkt für den Beginn der Degeneration. Doch herauszufinden, was letztlich zu einer Arthrose führt und wie man sie eventuell vermeiden kann, erweist sich als anspruchsvolle Aufgabe. Der beste Schutz vor einer Arthrose sind deshalb immer noch die Verletzungsprophylaxe und eine optimale Therapie nach der Verletzung.
Hüft-, Knie- und oberes Sprunggelenk sind die drei großen Gelenke der unteren Extremität, an denen viele Menschen unter einer Arthrose leiden. In der Entstehung der Arthrose nimmt das Sprunggelenk jedoch eine Sonderstellung ein. Im Gegensatz zu Hüfte und Knie, bei denen meist dauerhafte Fehlbelastungen die Ursache der Arthrose sind, steht bei der Arthrose am Sprunggelenk das Trauma im Mittelpunkt. Zwar können auch angeborene oder erworbene Fehlstellungen, Stoffwechselerkrankungen, Infektionen und entzündliche Erkrankungen wie Rheuma ein Gelenk zerstören. Man geht aber davon aus, dass etwa 90 Prozent aller Sprunggelenkarthrosen ein Trauma am Sprunggelenk vorausgegangen ist (Harasser, 2017, Delco et.al., 2017).
Fast allen Arthrosen geht ein Trauma voraus
Das Trauma wäre beim Sprunggelenk somit der Startpunkt der Arthrose. Doch nicht jedes Trauma endet automatisch in einer Arthrose. Eine Frage der Forschung ist deshalb, welche der traumatischen Verletzungen tatsächlich zu einer Arthrose führen und welche Prozesse letztlich zur Destruktion des Gelenks führen. Und natürlich interessiert dabei auch, ob beziehungsweise vor allem wann man nach einer Verletzung künftig individuell vorhersagen kann, ob der Patient eine Arthrose entwickeln wird oder nicht. Bei einigen der traumatischen Verletzungen erscheint der Zusammenhang offensichtlich. Nicht optimal reponierte OSG-Frakturen, Frakturen der Tibia oder Verletzungen der Syndesmose können zu Fehlstellungen und zu einer Inkongruenz im Gelenk führen – und damit zu einer punktuellen Überlastung der Gelenkflächen. Wird der Knorpel bei der Verletzung direkt geschädigt oder gibt es osteochondrale Läsionen durch das Trauma, so wird es nicht verwundern, wenn hieraus eine Arthrose entsteht. Aber auch Bandrupturen im Rahmen von Distorsionen am Sprunggelenk gelten, wenn auch seltener, als Ursache für eine Arthrose, insbesondere, wenn aus der Verletzung ein chronisch instabiles Gelenk resultiert. Doch so eindeutig manche Zusammenhänge erscheinen, so schwierig ist es, schon bei einer Verletzung oder nach Ende der Akutbehandlung das Arthroserisiko zu bestimmen. So weisen verschiedene Arbeiten darauf hin, dass eine Instabilität alleine nicht die Inzidenz der daraus resultierenden posttraumatischen Sprunggelenkarthrose erklären kann. So gebe es viele Patienten, die unter einer schweren OSG-Arthrose leiden und nur über ein einmaliges Umknicken berichten, statt über wiederkehrende Supinationstraumata aufgrund einer chronischen Instabilität. Das einmalige Umknicken kann in einigen Fällen sogar schneller in die Arthrose zu führen als immer wiederkehrendes Umknicken (Delco et al. , 2017; Valderrabano et al., 2006). Laut einer anderen Studie weisen etwa 79 Prozent der anatomisch optimal reponierten OSG-Frakturen auch im Langzeitverlauf keine höhere Arthroseinzidenz auf (Harasser, 2017). Auch eine erfolgreiche Operation bietet offenbar keinen kompletten Schutz vor der Arthrose. Es ist daraus auch ersichtlich, dass die knöcherne oder röntgenologische Gelenkkongruenz kein alleiniger Faktor in der Arthroseentstehung sein kann.
Seine Anatomie schützt das Sprunggelenk
Dass sich das Sprunggelenk oft viel Zeit lässt mit der Arthrose, erschwert die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Verletzung und Knorpelzerstörung. „Beim Knie weiß man, dass die degenerativen Prozesse in Folge eines instabilen Kniegelenks, zum Beispiel mit insuffizientem vorderen Kreuzband bei einem Sportler, schon in einem Zeitraum von 10 Jahren zu einer manifesten Arthrose führen werden“, sagt Dr. Markus Wenning, der an der Universitätsklinik Freiburg als Stipendiat des Berta-Ottenstein Programms zur Sprunggelenkarthrose forscht. Das sei beim Sprunggelenk nicht so. „Da gehen wir davon aus, dass es teilweise deutlich länger dauert.“ So können zwischen dem Trauma und der manifesten Arthrose durchaus bis zu 30 Jahre liegen und dann ist natürlich die Frage nach dem direkten ursächlichen Zusammenhang ungleich schwerer zu klären. Einig ist man sich darüber, dass bereits geringe Abweichungen in der Oberflächenkonfiguration des Gelenkes nach der Fraktur oder unphysiologische Bewegungen durch – auch leichte – Fehlstellungen oder durch ein chronisch instabiles Sprunggelenk zu Veränderungen in der Belastung der tibiotalaren Gelenkfläche führen können. „Druck ist Kraft pro Fläche“, fasst es Prof. Heinz Lohrer, Wiesbaden, einfach zusammen. „Wenn man eine Reduktion der kraftaufnehmenden Fläche hat, die zum Beispiel durch eine Verletzung an den Bändern induziert wird, dann wird der Druck auf die verbliebene Knorpelfläche größer. Und dafür ist das System nicht gebaut. Es gibt keine Spielräume, um den vermehrten Druck abzufangen“, so Lohrer, der in der Arbeitsgruppe Orthopädische Biomechanik gemeinsam mit Prof. Albert Gollhofer und Prof. Wilfried Alt seit 30 Jahren zu Sprunggelenkverletzungen forscht. Dass das Sprunggelenk der Arthrose dennoch so lange standhält, mag überraschen. Gegenüber dem Knie verfügt es nur über etwa ein Drittel der Kontaktfläche, was sich auch bei einem gesunden Gelenk in einer höheren Kraft pro Fläche während der Belastung niederschlägt. Zudem ist der Gelenkknorpel im Sprunggelenk nur halb so dick wie der Knorpel im Knie. Doch ist die extrazelluläre Matrix (ECM) des Knorpels im Sprunggelenk dichter als die im Knie, was ihn widerstandsfähiger gegen Druckbelastungen macht (Delco et al., 2017). Dass die Arthroseentwicklung am Sprunggelenk länger dauert als am Knie, liegt aber vor allem an der unterschiedlichen Gelenkarchitektur, erklärt Prof. Heinz Lohrer. „Das Knie ist bandgeführt, weil es nicht in dem Maße die knöchernen Begrenzungen hat“. Die Femurkondylen sind inkongruent mit der flachen Oberfläche des Tibiaplateaus, so dass das Kniegelenk in hohem Maße auf Weichteilstrukturen wie Menisken, Kollateralbänder und Kreuzbänder angewiesen ist, um die Stabilität während der Belastung aufrechtzuerhalten. „Instabilitäten führen dort deshalb viel schneller zur Arthrose“, so Lohrer. Die Gelenkflächen des oberen Sprunggelenks sind dagegen hochgradig kongruent, weshalb das Gelenk aufgrund seiner Anatomie stabiler ist. Nur in den Randbereichen des normalen Bewegungsbereichs wird die Stabilität des oberen Sprunggelenks durch Weichteilstrukturen aufrechterhalten, wie zum Beispiel durch die vorderen und hinteren tibiofibulären Bänder und das Ligamentum calcaneofibulare. „Durch die knöcherne Führung des Sprunggelenks ist der Beitrag, den die Bänder zur Gesamtstabilität leisten, sehr viel geringer“, erläutert Lohrer. „Deshalb ist beim insuffizienten Band der Weg zur Arthrose viel länger.“
Instabilität ist Risiko aber nicht immer Ursache
Die unterschiedlichen Verletzungsarten führen offenbar auch zu unterschiedlichen Schädigungen. „Es ist gut belegt“, so Dr. Markus Wenning, „dass die chronische Instabilität primär zu Knorpelschäden an der medialen Talusschulter führt, während die traumatischen Knorpelschäden eher die laterale Talusschulter betreffen“. Wenning führt dies darauf zurück, dass im Traumamoment wahrscheinlich die laterale Talusschulter direkt mit einer Spitzenbelastung verletzt wird, während eine ausgeprägte mechanische Instabilität dagegen offenbar eher zu rezidivierenden Überlastungen im postero-medialen Talus führt. Doch auch hier gilt: Der Weg von der Instabilität zur Arthrose ist nicht zwingend vorgezeichnet. „Wir gehen von etwa 30 Prozent chronischen Instabilitäten als Folge einer Distorsion des oberen Sprunggelenks aus“, erklärt Wenning, „aber wir sehen lange nicht so viele Sprunggelenkarthrosen, wie wir chronisch instabile Sprunggelenke haben“. Deshalb gelte es herauszufinden, welche Faktoren ausschlaggebend dafür sind, dass das Gelenk in einen degenerativen Prozess geht oder nicht. Das ist bei den ligamentären Verletzungen offenbar noch ein bisschen schwieriger als bei den Frakturen.
Wissenschaft forscht an Früherkennung
In der aktuellen Forschung gibt es deshalb derzeit unterschiedliche Ansätze, Faktoren zu finden, mit denen besonders gefährdete Gelenke identifiziert werden können oder die Entwicklung einer Arthrose schon frühzeitig erkannt werden kann. In einem vor kurzem abgeschlossenen Forschungsprojekt hat Dr. Markus Wenning gemeinsam mit Kollegen die Stabilität beziehungsweise Instabilität von Sprunggelenken untersucht. Die Größe des Kontaktbereichs zwischen den Knorpelflächen des Sprunggelenks galt dabei als wesentlicher Parameter. Mit hochauflösenden 3D-MRT-Aufnahmen wurde die Gelenkkongruenz über die Knorpelkontaktfläche in Neutral-Null-Stellung und in Plantarflexion und Supination unter Belastung gemessen (Wenning et al., 2019). Während gesunde, stabile Probanden unter Belastung rund 30 Prozent Gelenkflächenkontakt verlieren, büßen Menschen mit instabilen Sprunggelenken zwischen 50 und 90 Prozent der Fläche ein. Über das Maß an Kontaktflächenverlust könnte man so künftig besser zwischen mechanischen und funktionellen Instabilitäten differenzieren und die mechanischen Instabilitäten auch genauer quantifizieren. Daraus könnten dann künftige eventuell geeignete Therapien zur Stabilisierung des Gelenkes abgeleitet werden, um ein frühes Auftreten einer Arthrose zu verhindern. Andere Forschungsansätze konzentrieren sich auf mögliche Veränderungen im Knorpel nach einem Trauma. Ein Verfahren hierzu ist das sogenannte T2-Mapping, das in einer Studie an der Universität Erlangen zum Einsatz kam (Golditz et al., 2014). Mit diesem speziellen MRT-Verfahren sollen Knorpeldefekte frühzeitig – noch bevor die strukturellen Läsionen arthroskopisch sichtbar sind – festgestellt werden können. Die dabei gewonnenen Sequenzen ermöglichen es, die Interaktionen zwischen den Wassermolekülen und den Makromolekülen in der Knorpelmatrix darzustellen und anhand des Hydratisierungsgrades des Kollagens Rückschlüsse auf die strukturellen Eigenschaften des Knorpels zu ziehen. Ein hoher Wassergehalt spricht für eine pathologische Veränderung des Kollagengerüsts (Söllner, 2018). In der erwähnten Studie wurde der Knorpel von jungen Sportlern mit instabilen Sprunggelenken mit dieser Methode untersucht. Dabei zeigte sich, dass sich bei den Probanden mit instabilem Gelenk gegenüber der Kontrollgruppe in verschiedenen Regionen des Gelenkes schon erste Anzeichen einer Knorpeldegeneration zeigten. Auch Dr. Markus Wenning wird in einem neuen Forschungsprojekt gemeinsam mit den Radiologen der Universitätsklinik in Freiburg untersuchen, ob Knorpelveränderungen schon direkt nadh einem Trauma nachweisbar sind und diese Veränderungen Hinweise geben, ob der Knorpel mittelfristig einen Schaden entwickeln wird. Sollte es gelingen, arthrosegefährdete Sprunggelenke frühzeitig zu identifizieren, hätte man zwar noch keine Therapie gegen die Arthrose an sich gefunden, könnte aber Maßnahmen gegen ein schnelles Fortschreiten der Erkrankung ergreifen. „Wenn wir frühzeitig einen Knorpelschaden erkennen können, wäre eine Konsequenz für die konservative Therapie, dieses Gelenk entgegen der aktuell üblichen Therapie dann doch für einige Wochen zu schonen“, erklärt Dr. Markus Wenning. Bezogen auf die Orthopädieschuhtechnik könne dies heißen, dass man versucht, die gefährdeten Bereiche wie den medialen oder lateralen Talus entsprechend zu entlasten, zum Beispiel durch individuell angepasste Einlagen, oder die Gelenkkongruenz durch Orthesen zu verbessern. Dadurch könne man gemäß der aktuellen Hypothesen die Degeneration zumindest verzögern. Gebe es schon in der Akutphase Anzeichen für eine Knorpelschädigung, könne man die Teilbelastung in der Therapie noch länger fortführen.
Sprunggelenkverletzungen wurden bagatellisiert
Ob es in naher Zukunft gelingt, das Risiko einer Arthrose individuell für einen Patienten vorherzusagen, wird sich zeigen. Auch wenn es gelingt, dieses Risiko schrittweise weiter einzugrenzen, ist zu erwarten, dass die dafür nötige Technik auf absehbare Zeit nicht zur klinischen Routineuntersuchung gehören wird. So wird man vorerst auch weiterhin das Arthroserisiko nur statistisch beschreiben. Um es klinisch individuell definieren zu können, ist zunächst die Bewertung und Identifikation von Risikofaktionen notwendig. Die jetzt schon vorliegenden Ergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass auch bei scheinbar einfachen Sprunggelenkverletzungen, bei denen die Patienten schon nach wenigen Wochen wieder beschwerdefrei sind und ihren Sport ausüben, der Knorpel beziehungsweise das Gelenk so weit geschädigt werden können, dass der Weg zur Arthrose vorgezeichnet ist. Prof. Heinz Lohrer würde sich deshalb sehr wünschen, dass der Verletzungsprophylaxe im Sport noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Als Beispiel nennt er das vom Weltfußballverband FIFA entwickelte Trainingsprogramm zur Vermeidung von Knieverletzungen. Inzwischen sei wissenschaftlich gut belegt, dass Mannschaften, welche das Training anwenden, weniger am Knie verletzte Spieler haben. Leider werde dem Sprunggelenk nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt, Dies könnte an der Schwere der möglichen Verletzung liegen, vermutet Lohrer. Während ein Spieler mit einem Kreuzbandriss mindestens sechs Monate ausfalle, stehe ein Spieler mit einer Bandruptur schon spätestens nach sechs Wochen wieder auf dem Platz. Auch wenn letztlich noch nicht genau geklärt ist, was bei einem individuellen Patienten mit instabilem Sprunggelenk tatsächlich zur Arthrose führt, gilt ein instabiles Gelenk doch als wesentlicher Risikofaktor dafür. Deshalb gilt es, so Lohrer, chronische Instabilitäten nach Verletzungen so gut es geht zu vermeiden. Der Schlüssel hierzu ist für ihn die konsequente Therapie. Lohrer hat in seinen Anfangsjahren als Arzt noch die Zeit erlebt, als alle Bandrupturen operativ behandelt wurden. „Die Patienten waren 10 Tage stationär, und bekamen dann eine Nachbehandlung im Gipsverband für sechs Wochen“. Nachdem gezeigt werden konnte, dass auch eine konservative, frühfunktionelle Therapie mit der Unterstützung von äußeren Stabilisierungshilfen zu gleichwertigen Ergebnissen führt, habe sich die konservative Therapie als Standard durchgesetzt. Leider würden Verletzungen am Sprunggelenk durch die einfache und schnelle Therapie immer mehr bagatellisiert, ist Lohrers Erfahrung aus inzwischen über 30 Jahren klinischer Praxis. Die Überzeugung „Das heilt ja sowieso wieder aus, da muss man gar nichts machen“, sei heute weit verbreitet. Über die Hälfte der Betroffenen suchen nach Sprunggelenkdistorsionen keinen Arzt mehr auf (Ruchholtz et al., 2019). „Das Problem ist, dass es tatsächlich relativ schnell wieder gut wird, aber eben nur vermeintlich“, erklärt Prof. Heinz Lohrer. „Man muss meines Erachtens das Bewusstsein dafür schärfen, dass man die Bandverletzung am Sprunggelenk so gut es geht ausbehandeln muss. Man sollte, je nach Schweregrad, konsequent behandeln und nicht pauschal sagen, dass nach sechs oder acht Wochen wieder alles in Ordnung ist.“ Hierzu müssten vor allem die Patienten bereit sein, bei der Therapie konsequent mitzumachen, was sie aber nach Lohrers Erfahrung selten sind: „Die Patienten kommen mit dem umgeknickten Sprunggelenk in die Praxis. Das tut weh und dann machen die Patienten zunächst alles mit, was man ihnen für die Therapie sagt. Sie erhalten die Orthese und tragen sie auch“. Für den Patienten sei das wichtigste Kriterium der Schmerz. Der sei bei einer unkomplizierten Bandverletzung meist nach zwei oder drei Wochen verschwunden. Bei der Verlaufskontrolle nach zwei Wochen trügen deshalb schon 30 bis 40 Prozent der Patienten die Orthese nicht mehr. Nach vier Wochen nutze vielleicht noch die Hälfte der Patienten die Orthese. Lohrer befürchtet zudem, das nach vier oder fünf Wochen nachts kaum noch ein Patient die Orthese trägt, obwohl gerade nachts der Schutz wichtig sei. Zur letzten Untersuchung nach sechs Wochen würden viele deshalb oft schon gar nicht mehr kommen. „Warum soll ich zum Arzt, wenn es mir doch gut geht“, sei deren Einstellung. „Damit riskieren wir chronische Instabilitäten“, ist Lohrer überzeugt. „Nach der neueren Literatur müssen wir davon ausgehen, dass 40 bis 60 Prozent der Patienten nach einem Umknicktrauma eine chronische Instabilität entwickeln. Die bekommen nicht alle eine Arthrose, aber im Grunde sind das alles Risikopatienten“. Lohrer fordert deshalb, Verletzungen am Sprunggelenk wieder ernster zu nehmen und die zur Verfügung stehenden Hilfsmittel auch bis zum Ende der Therapie – oder auch darüber hinaus – zu nutzen. Die Wirkung von Orthesen in der Therapie der Sprunggelenkverletzungen und zum Schutz vor einem erneuten Trauma ist durch zahlreiche Studien belegt. Mit dem beschriebenen neuen 3D-MRT-Verfahren gelang jüngst auch der Nachweis, dass eine Orthese bei mechanisch instabilen Gelenken in den Extremstellungen, wenn die Stabilität des Sprunggelenks von der Bandführung abhängt, den Verlust an Gelenkkontaktfläche reduziert und somit auch die Belastung auf die Gelenkflächen.
Konsequente Therapie ist der beste Schutz
Noch ist die Sprunggelenkarthrose im Verhältnis zu Gon- und Coxarthrose deutlich seltener anzutreffen. Auf der anderen Seite weiß man, dass das Sprunggelenk im Sport das am häufigsten von Verletzungen betroffene Gelenk ist und dass in den letzten Jahrzehnten nicht nur Profis, sondern auch sehr viele Breitensportler solche Verletzungen erlitten. Es wird deshalb vermutet, dass aufgrund der bekannt langen Latenzzeit die Zahl der Sprunggelenkarthrosen in den nächsten Jahren zunehmen wird (Delco et al. , 2017). Ist die Arthrose erst einmal manifest, sind die Therapiemöglichkeiten begrenzt. Konservative Maßnahmen sind die Belastungsreduktion oder -umverteilung durch Einlagen, Schuhzurichtungen, Maßschuhe und Orthesen, Physiotherapie oder die medikamentöse Behandlung, zum Beispiel auch Injektionen ins Gelenk. Operative, gelenkerhaltende Verfahren zielen darauf ab, schmerzhafte Gelenkveränderungen zu beseitigen oder Knorpelersatz einzubringen. Diese Therapien können die Arthrose nicht stoppen, sondern nur verlangsamen und dem Patienten durch eine Schmerzreduktion ein mehr an Mobilität und Wohlbefinden ermöglichen. Am Ende steht dennoch häufig die Entscheidung an, ob eine Sprunggelenksendoprothese eingebaut wird oder das Gelenk mit einer Arthrodese versteift werden soll. Die beste Therapie ist also noch immer, die Arthrose möglichst zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu verhindern, sei es durch die Vermeidung von Verletzungen oder eine optimale Therapie. „Wir müssen mit der Erkenntnis leben, dass ein Umknicktrauma der Beginn einer Arthrose sein kann“, erklärt Prof. Heinz Lohrer, „und dass wir mit dieser Gefahr leben müssen. Und man kann nichts Besseres tun als dafür zu sorgen, dass das Gelenk wieder stabil wird.“
Literatur siehe PDF.
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