06. September 2021

Die Rahmenbedingungen für die künftigen Generationen schaffen

Stephan Jehring
WOLFGANG BEST
 
Wenn im Herbst der Bundestag gewählt wird, könnte sich in der Folge auch einiges in der Gesundheitspolitik ändern. Ihre Erwartungen an die Politik haben die Gesundheitshandwerke und der ­Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) bereits formuliert. ZVOS-Präsident Stephan Jehring erläutert im Interview die wesentlichen Forderungen und gibt Einblicke in die Projekte, die derzeit beim Zentralverband bearbeitet werden.
 
Herr Jehring, im September ist Bundestagswahl. Danach wird es voraussichtlich auch in der Gesundheitspolitik zumindest teilweise neue Ansprechpartner geben, die man von den eigenen Anliegen überzeugen muss. Wie stellen sich die Gesundheitshandwerke auf diese Aufgabe ein?
Die fünf Gesundheitshandwerke Augenoptik, Hörgeräteakustik, Orthopädieschuhtechnik, Orthopädietechnik und Zahntechnik, bilden innerhalb des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks eine eigene Gruppe. Über eine Kooperationsvereinbarung werden wir dort von Herrn Kim Nikolai Japing sehr gut in unserer politischen Arbeit unterstützt. Er ist nah an der Politik und knüpft die Kontakte zu Politikern oder Mitarbeitern aus den Ministerien, wo wir unsere Anliegen vorbringen können. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit wollen wir auf jeden Fall fortsetzen. Künftig wollen wir unser Profil als Zusammenschluss der Gesundheitshandwerke noch weiter schärfen. Dazu wollen wir einen neuen Außenauftritt entwickeln, mit dem wir noch stärker als bisher als die Handwerke wahrgenommen werden, welche direkt im Gesundheitswesen arbeiten und von den Entscheidungen der Gesundheitspolitik direkt betroffen sind. Damit wollen wir mehr Bewusstsein in der Politik für die besonderen Belange der Gesundheitshandwerke wecken.
 
Wie positionieren sich die Gesundheitshandwerke zur Bundestagswahl?
Die Gesundheitshandwerke haben gemeinsam ein Positionspapier zur Bundestagswahl entwickelt, das wir an die wesentlichen Akteure in der Gesundheitspolitik verteilt haben. (s. Seite 14). Darin fordern wir unter anderem eine bessere Einbindung und Mitsprache in der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, insbesondere bei allen Verfahren, welche die Gesundheitshandwerke betreffen. Eine weitere Forderung betrifft die Kalkulation der Festbeträge und Festzuschüsse, die sich nach unserer Überzeugung nicht an den tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten orientiert. Der Zentralverband Orthopädieschuh­technik hat darüber hinaus noch sogenannte Wahlprüfsteine entwickelt. Da­rin legen wir nochmals den Fokus auf einige Punkte, welche für die Orthopädieschuhtechnik wichtig sind.
 
Welche Punkte sind dies?
Da ist zunächst die Überregulierung im Präqualifizierungsverfahren. Die derzeit vorgeschriebene Begehung alle 20 Monate stellt eine enorme bürokratische und finanzielle Belastung für unsere Betriebe dar und bietet keinerlei Zusatznutzen für die Qualität der Hilfsmittel und die Sicherheit der Patienten. Eine Überprüfung der Voraussetzungen alle fünf Jahre ist völlig ausreichend. Einige in der Politik haben dies bereits erkannt. Wir werden das Thema aber dennoch immer wieder ansprechen und auf eine Änderung dieser aus unserer Sicht unnötigen Regelung hinwirken. Ein weiteres Anliegen ist eine Überarbeitung des § 127 SGB V, in dem die Rahmenbedingungen für Hilfsmittelverträge geregelt sind. Dieser Paragraph wurde in den letzten Jahren 14 Mal geändert und enthält inzwischen viele nicht aufeinander abgestimmte Regelungen, die Vertragsabschlüsse für alle Seiten komplizierter machen. Selbst Krankenkassen und der GKV-Spitzenverband räumen inzwischen ein, dass dieser Paragraph neu geschrieben werden sollte, damit es wieder eine Grundlage für qualitätsorientierte, sowohl wirtschaftlich als auch sozial ausgewogene Verträge gibt. 
 
Eine Forderung der Gesundheitshandwerke ist auch die vollständige Anbindung an die Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen. Wie aktuell ist das Thema für die Orthopädieschuhtechnik? 
Laut Gesetz werden die Hilfsmittelerbringer am 1. Juli 2026 an die Tele­matik-Infrastruktur angeschlossen. Das scheint noch lange hin. Aber innerhalb der Gesundheitshandwerke arbeiten wir mit verschiedenen Partnern bereits seit einem Jahr an der Umsetzung. Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Ausgabe der elektronischen Berufsausweise, die grundlegend für die Teilnahme an der Telematik-Infrastruktur sind. Im Bereich der sonstigen Leistungserbringer werden die Ausweise über das elektronische Gesundheitsberuferegister (eGBR) ausgestellt. Wir als Gesundheitshandwerke haben uns dafür entschieden, die Ausgabe der Berufsausweise bei den Handwerkskammern anzusiedeln. Der Handwerkskammertag und der ZDH sind mit im Boot und wir stimmen uns derzeit mit den Handwerkskammern bezüglich der Umsetzung ab. Unser Ziel ist, dass die Betriebe den Ausweis möglichst einfach beantragen können, wenn sie dazu berechtigt sind. Auch für die Umsetzung des e-Rezeptes sind wir in Kontakt mit der Gematik, die für die Telematik-Infrastruktur zuständig ist, und den entsprechenden Branchenanbietern. Hier geht es darum, die entsprechenden Schnittstellen zu schaffen und die nötigen technischen Geräte zur Verfügung stellen zu können. Wir werden noch in diesem Jahr Gespräche mit dem GKV-Spitzenverband über die technische Erstausstattung und die Kostenübernahme führen. Diese sollte aus unserer Sicht analog wie bei den Ärzten erfolgen. Wir sind sehr optimistisch, dass bis zum Termin 2026 alles funktionieren wird.
 
Müssen die Betriebe jetzt schon aktiv werden?
Man muss definitiv wissen: Wer bis 2026 nicht angeschlossen ist, der ist draußen. Es geht ab diesem Zeitpunkt alles nur noch elektronisch über die Telematikinfrastruktur. Deshalb ist das ein wichtiges Thema für unsere Betriebe. Gemeinsam mit den Softwarefirmen müssen wir uns die Prozesse von der Annahme des Rezeptes bis zur Abrechnung genau anschauen und gegebenenfalls verändern, bevor wir sie digitalisieren. Sonst machen wir schlechte analoge Abläufe zu schlechten digitalen Abläufen. Für die Betriebe ist wichtig, dass sie frühzeitig klären, ob die von ihnen genutzte Software geeignet ist, an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen zu werden. Für manche Betriebe könnte es hier ein Problem geben, vor allem für jene, welche ihre Programme selbst geschrieben haben oder die mit kleineren Softwareanbietern zusammenarbeiten, da die Programme durch die Gematik getestet und zugelassen werden müssen.
 
Die Produktgruppe 31 (Schuhe) des Hilfsmittelverzeichnisses ist derzeit in der Fortschreibung. So wie im Vorfeld zu hören war, könnte es im Bereich der Diabetesversorgung wesentliche Neuerungen geben. 
Es ist in der Tat geplant, die PG 31 um einen neuen Bereich zu erweitern. In der PG 31 F soll die komplette Diabetesversorgung abgebildet werden. Voraussichtlich wird es dafür auch eigene Präqualifizierungsregeln geben.
 
Welche Auswirkungen hat das auf die Betriebe und die Diabetesversorgung?
Positiv ist zunächst, dass dieser für unser Handwerk sehr wichtige Versorgungsbereich einen ganz neuen Stellenwert bekommt. Die Versorgung des diabetischen Fußes ist ein Alleinstellungsmerkmal unseres Handwerks. Mit dieser Erweiterung schaffen wir für unser Handwerk einen festen und sicheren Rahmen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Damit sichern wir die Zukunft unserer Betriebe in diesem wichtigen Kernbereich auch für die nächste Generation. Für die Betriebe bedeutet es, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie in diesem Bereich noch dabei sein wollen. Kleine Betriebe, die keine Diabetiker versorgen, könnten auf die Präqualifizierung für Diabetes verzichten und müssten dadurch auch nicht Geräte wie ein Druckmesssystem vorhalten. Wer weiter bei der Diabetesversorgung dabei sein möchte, für den bedeutet dies zunächst, dass er sich fortbilden muss. Unser Handwerk hat in diesem Bereich mit der Diabetes-Fortbildung Teil I bis V schon vor 25 Jahren ein großes Weiterbildungsprogramm aufgelegt. Mittlerweile hat sich in der Diabetesversorgung jedoch vieles weiterentwickelt und es ist sicher sinnvoll, alle wieder auf den aktuellen Stand zu bringen. Wir haben bereits ein Curriculum für diese Weiterbildung vorbereitet. Es besteht zum einen aus einem kompletten Ausbildungsprogramm, wie es an den Meisterschulen den angehenden Meistern gelehrt werden soll. Und es wird einen Auffrischungslehrgang für jene geben, die bereits die Teile I bis V absolviert haben. Neu ist ein Schulungskonzept für Verkäufer/Medizinprodukteberater, die mit der Annahme und Abgabe von Hilfsmitteln im Diabetesbereich befasst sind. Zunächst müssen wir allerdings noch das Ergebnis der Fortschreibung des GKV-Spitzenverbandes abwarten. Wir haben wie immer unsere Vorschläge gemacht. Da wir leider immer noch kein Mitspracherecht haben, können wir nicht vorhersagen, wie die Fortschreibung tatsächlich ausfällt.
 
Der ZVOS will auch einen Rahmenlehrplan für die Meisterschulen erarbeiten. Ist die Ausbildung zum Meister nicht ausreichend durch die Meisterprüfungsordnung geregelt?
Die Meisterschulen entscheiden grundsätzlich selbst, wie sie ihre Schüler auf die Meisterprüfung vorbereiten. Es spricht jedoch einiges dafür, gemeinsam mit den Schulen einen Rahmenlehrplan zu entwickeln. Der Nachweis bestimmter Qualifikationen innerhalb der Meisterausbildung kann später auch Auswirkungen auf die Ausübungsberechtigung bezüglich der Präqualifizierung haben. Wenn es um die Fortschreibung der Produktgruppen geht, müssen wir in den Gesprächen mit dem GKV-Spitzenverband immer wieder Fragen nach dem einheitlichen Ausbildungsstand unserer Mitglieder beantworten. Deshalb hat sich der Vorstand entschlossen, einen Rahmenlehrplan zu entwickeln. Die Idee hinter dem Rahmenlehrplan ist auch, dass neue Erkenntnisse und Verfahren, die in unser Handwerk kommen, relativ schnell in die Meisterausbildung integriert werden können. Ein Beispiel ist die oben bereits angesprochene Ausbildung im Diabetesbereich. Sollte die neue Untergruppe in der PG 31 kommen und unser Schulungskonzept Teil des Rahmenlehrplans werden, dann reicht der Meisterbrief der Absolventen, die nach diesem Rahmenlehrplan ausgebildet wurden, zur fachlichen Präqualifizierung im Diabetesbereich aus. Wir bekommen aber auch Anfragen, wie die Ausbildung in der sensomotorischen Einlagenversorgung an den Meisterschulen geregelt ist. Auch hier ist es im Hinblick auf eine mögliche Anerkennung dieser Versorgung durch die Kostenträger sinnvoll, eine einheitliche Grundausbildung zu schaffen.
 
Die Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen gehören zu den schwierigsten Aufgaben in der Verbandsarbeit. Der ZVOS will den Stundenverrechnungssatz in der Orthopädieschuhtechnik neu berechnen lassen. Welchen Stellenwert hat dieser Verrechnungssatz für die Verhandlungen mit den Krankenkassen?
Der Stundenverrechnungssatz ist ein wesentlicher Bestandteil der Preisfindung bei Kassenverträgen. Die Formeln für die Bestimmung des Stundenverrechnungssatzes wurden allerdings schon vor 25 Jahren entwickelt. Die Nebenkosten, aber auch die Dokumentationspflichten haben sich seitdem grundlegend geändert, weshalb die derzeitige Berechnungsmethode die tatsächlichen Kosten nicht mehr abbilden kann und der Stundensatz dabei nach unserer Vermutung immer zu niedrig liegt. Deshalb halten wir es für dringend notwendig, die Berechnung komplett neu aufsetzen zu lassen. Falls der Stundenverrechnungssatz nach der Neuberechnung höher liegt, dann müssen wir das natürlich auch bei den Preisverhandlungen mit den Krankenkassen entsprechend geltend machen. Dass es nicht einfach wird, Preiserhöhungen zu erzielen, ist uns natürlich bewusst. Deshalb ist es für uns wichtig, dass die Berechnung unabhängig und wissenschaftlich fundiert erfolgt. Wir haben bereits zwei Angebote eingeholt, die wir aktuell prüfen. In die Studie werden größere und kleinere Betriebe sowie Betriebe auf dem Land und in der Stadt mit einbezogen, so dass wir ein möglichst umfassendes Bild über die Kostenstrukturen erhalten. Welches Institut den Zuschlag erhält, wird die Mitgliederversammlung entscheiden. Wesentlich für uns ist, dass die Berechnungsgrundlagen wissenschaftlich sauber und nachvollziehbar dargestellt werden, damit die Höhe des neuen Stundenverrechnungssatzes nicht in Frage gestellt werden kann.
 
Der Zentralverband ist seit Jahren auch Ansprechpartner für Kostenträger, die bundesweit Verträge abschließen. Es gab jedoch auch immer wieder Kritik, dass die Entscheidungswege im Verband zu langsam sind, um solche Verhandlungen effektiv führen zu können.
Aktuell ist unsere Satzung so aufgesetzt, dass der Hauptausschuss, in dem alle Mitgliedsländer vertreten sind, praktisch alles entscheidet. Die Entscheidungsbefugnis des Vorstandes ist dadurch sehr eingeschränkt. Das ist aus meiner Sicht heute nicht mehr zeitgemäß. Oft müssen wir zeitnah und schnell entscheiden oder auf Anfragen antworten, gerade bei Verhandlungen mit den Kassen, aber auch bei politischen Entscheidungen. Durch den Gremienvorbehalt sind wir oft langsam, weil für viele Entscheidungen der Hauptausschuss zusammenkommen muss. Und wenn es keine Einigung gibt, dreht sich die Welt dennoch weiter – ohne den ZVOS und die Orthopädieschuhtechnik. Deshalb habe ich vorgeschlagen, die Strukturen so anzupassen, dass der ZVOS künftig zügiger Entscheidungen treffen und dadurch auch flexibler arbeiten kann. Die Mitgliederversammlung wäre dabei natürlich weiterhin die höchste Instanz im Verband. Sie entscheidet über die Satzung, den Haushalt und die grundsätzliche Ausrichtung des Verbandes. Aufgabe des Vorstandes und der Geschäftsführung ist es, die grundsätzliche Linie in der praktischen Verbandsarbeit auszugestalten. Falls die Mitglieder der Meinung sein sollten, der Vorstand setzt die vorgegebene Linie nicht richtig um, kann man den Vorstand bei der nächsten Wahl ersetzen. Aber wenn ein Vorstand keinen Handlungsspielraum hat und nichts entscheiden kann, ist eine effektive Verbandsarbeit unmöglich. Wir haben die Satzung entsprechend überarbeitet und mit dem ZDH abgestimmt, da die Satzungsänderung auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit abgesegnet werden muss. Dieser Prozess läuft derzeit noch, weswegen wir bei der nächsten Mitgliederversammlung voraussichtlich noch nicht darüber abstimmen können.
 
In ihrem Positionspapier fordern die Gesundheitshandwerke mehr Kompetenzen in der Hilfsmittelversorgung, vor allem für Folgeversorgungen. Wie kann das in der Praxis aussehen? 
Die Gesundheitshandwerke dürfen auf der Grundlage des Handwerksrechts und der Medizinprodukteverordnung eigenverantwortlich Versorgungen mit Hilfsmitteln durchführen. Bei Privatzahlern ist dies jederzeit möglich. Für die Abrechnung mit der Krankenkasse benötigen wir eine ärztliche Verordnung. Dass der Arzt mit seiner medizinischen Kompetenz die Diagnose stellt und das Hilfsmittel auswählt, sollte auch weiterhin so bleiben. Die Frage ist, ob der Patient für jede Folgeversorgung wieder zum Arzt muss. Das ist in Ballungsräumen einfach, weil dort die Wege zum Arzt in der Regel kurz sind. Es wird aber zunehmend zu einem Problem im ländlichen Raum, wo es immer weniger Hausärzte und noch weniger Fachärzte gibt. Hier müssen Patienten auch bei Folgeversorgungen oft weite Wege auf sich nehmen, um im Grunde nur ein Rezept abzuholen. Vor allem für ältere Patienten ist das oft ein unzumutbarer Aufwand. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn der Orthopädieschuhmacher die Folgeverordnung bei Schuhen oder Einlagen selbst übernehmen könnte.
 
Gibt es dazu schon Erfahrungen?
Derzeit läuft dazu ein Modellprojekt über die Versorgung mit orthopädischen Maßschuhen in Mecklenburg-Vorpommern, zusammen mit der IKK. Die Erstverordnung liegt auch hier weiter beim Arzt. Für die Folgeverordnungen gibt es einen Bedarfserhebungsbogen, den der Orthopädieschuhmacher ausfüllt. Wenn sich an der Indikation oder am Fuß nichts geändert hat, reicht er den bei der Krankenkasse ein, genauso wie seinen Kostenvoranschlag. Das Projekt wird wissenschaftlich evaluiert. Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend. Ich halte dieses Projekt für sehr wichtig für unser Handwerk, gerade im Hinblick auf die oben angesprochene Entwicklung im ländlichen Bereich. Das entlastet die Patienten, aber auch die Ärzte.
 
In der Physiotherapie gab es erfolgreiche Modellprojekte mit Blankoverordnungen, bei denen der Therapeut selbstständig entscheidet, welche Therapie der Patient erhält. Ist so etwas auch in der Orthopädieschuhtechnik denkbar?
Auch in der Einlagenversorgung können wir uns vorstellen, dass der Orthopädieschuhmacher künftig selbst entscheidet, welche Einlage gefertigt wird. Das würde den Modellprojekten in der Physiotherapie entsprechen. Der Arzt würde auch hier weiterhin die Diagnose stellen und die Notwendigkeit einer Einlagenversorgung bestätigen. Die Festlegung der Ausführung kann der Orthopädieschuhmacher aufgrund seiner Ausbildung leisten, wenn die Diagnose und die Aufgabenstellung bekannt sind. Er kennt seine Materialen und Formen und weiß, welche Kombination am besten wirkt. Das wäre aus unserer Sicht eine sinnvolle Lösung, zumal viele Ärzte in der Technischen Orthopädie und der Hilfsmittelversorgung nicht mehr ausgebildet werden und es heute schon schwer ist, ausreichend spezifizierte Hilfsmittelverordnungen zu erhalten.
 
Der Zentralverband verfügte über viele Jahre über ein gültiges Baumuster für orthopädische Sicherheitsschuhe. In den letzten Jahren schien dies jedoch auf der Kippe zu stehen, nachdem das alte Baumuster ausgelaufen war. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Nachdem das alte Baumuster ablief, war es uns gelungen, die Gültigkeit unseres alten Baumusters in Absprache mit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zunächst um zwei Jahre zu verlängern, bis wir ein aktualisiertes Baumuster entwickelt hatten. Obwohl wir hierfür nur zertifizierte Materialien verwendeten, bewährte sich die Kombination mit den neu hinzugenommenen Materialien nicht, so dass die Baumusterprüfung nicht bescheinigt werden konnte. Nach einer Überarbeitung des Baumuster hat der Schuh aber inzwischen alle Tests bestanden. Mit diesem Baumuster kann man nun wieder einen großen Teil, aber natürlich nicht alle orthopädischen Versorgungen im Sicherheitsschuhbereich abdecken.
 
Wie ist die Nachfrage in der Branche nach dem Baumuster des ZVOS?
Die Nachfrage ist groß. Nachdem wir die Baumusterprüfung mit unserem Schuh im Juni bestanden hatten, boten wir sofort Anwender-Schulungen an. Inzwischen haben wir mit sieben Online-Schulungen schon über 400 Anwender geschult. Die Schulung soll künftig auch in die Meisterkurse integriert werden, so dass die neuen Meister gleich mit die Berechtigung haben, die Schuhe zu bauen und abzurechnen. Mit der DGUV werden wir im Herbst in Verhandlungen über den Versorgungsvertrag gehen. Hier wird es um die Preise, aber auch um eine Vereinfachung des Versorgungsablaufes gehen.
 
Im Interview haben Sie einige Aufgaben geschildert, welche der ZVOS auf Bundesebene für das gesamte Handwerk übernimmt. Nun sind in den letzten Jahren einige Innungen aus dem ZVOS ausgetreten. Wie sind diese Aufgaben für den ZVOS dennoch personell und finanziell zu stemmen?
Auch wenn einige Innungen unseren Bundesverband leider verlassen haben, ist der ZVOS nach wie vor der Ansprechpartner für alle politischen und handwerksrechtlichen Belange des Orthopädieschuhmacher-Handwerks. Aufgaben wie die politische Vertretung über die Gemeinschaft der Gesundheitshandwerke, die Neukalkulation des Stundenverrechnungssatzes, die Neugestaltung der PG 31 oder die rechtliche Erweiterung der Versorgungsmöglichkeiten unseres Handwerks betrachten wir als zentrale Aufgabe eines Bundesverbandes. Hier geht es nicht um kurzfristige Erfolge. Wir müssen auch an die nachfolgenden Generationen denken und heute die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen die künftigen Kollegen auch in 20 Jahren noch ein Auskommen haben. Das ist Berufsstandsicherung. Ich will nicht verschweigen, dass das alles Zeit und Geld kostet und derzeit nur möglich ist, weil die verbliebenen Innungen bereit waren, ihren Beitrag zu erhöhen, um diese wichtigen Aufgaben unseres Verbandes für alle anderen Betriebe mitzufinanzieren. Wir fänden es deshalb angemessen, wenn sich auch andere Innungen, die nicht im Zentralverband sind, an den einzelnen Projekten beteiligen, denn letztlich kommt das allen Betrieben in Deutschland zugute. Wir sind für Gespräche darüber immer offen. 
 
Artikel als PDF herunterladen: