Das vor 10 Jahren beschlossene GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz hat das Kräfteverhältnis leider stark ­zugunsten der Krankenkassen verschoben. Die Leistungserbringer haben immer noch große Mühe, vernünftige Rahmenbedingungen und Preise für ihre Leistungen zu verhandeln. Auch die Neufassung der PG 08 zeigte ­einmal mehr, dass die Anliegen der Orthopädiehandwerke zu wenig Gehör finden. Kein Grund aufzugeben, sagen Jens Schulte und Uwe Branscheidt vom Zentralverband Orthopädieschuhtechnik. Dort stehen die kalkulierten Preise weiter auf der Agenda. Und bei der Produktgruppe 08 wird jetzt gegen die Preisfestsetzung geklagt. Von Wolfgang Best

Jens Schulte (Foto: ZVOS/A. Schieber)

Unser Ziel ist, bei den Verträgen wieder zu kalkulierten Preisen  zu kommen“, sagt OSM Jens Schulte, Vizepräsident des Zentralverbandes Orthopädie­schuhtechnik und im Vorstand für die Vertragsverhandlungen mit den bundesweit agierenden Kassen zuständig.

Dass dies nicht einfach wird, weiß Schulte, der als Obermeister der Landesinnung Hessen auch auf Landesebene verhandelt, aus vielen Verhandlungen mit den Krankenkassen. Grund hierfür sind aus seiner Sicht vor allem die zahlreichen  unterschiedlichen Verträge und Preis­niveaus in den Bundesländern, die sich schon lange nicht mehr an kalkulierten Preisen orientieren.

Kalkulation gegen prozentuale Erhöhung

„Die Kassen wünschen sich immer  eine ­lineare Erhöhung“, erklärt Schulte. „Das entspricht aber nicht unserer Kostenstruktur und unseren Kostensteigerungen.“ So hätten sich die Materialpreise sehr unterschiedlich entwickelt. „In den letzten Jahren sind die Preise im Mate­rialbereich im Schnitt um etwa sieben Prozent gestiegen. Manches verteuerte sich  gar nicht, anderes aber um 30 Prozent. Deshalb wird man mit linearen Erhöhungen den Kostensteigerungen niemals gerecht.“

Im besten Fall habe man bei einer ­linearen Erhöhung der Kostenerstattung noch die Möglichkeit, die Erhöhung unterschiedlich auf einzelne Positionen aufzuteilen. „Dann gibt es für manche Arbeiten 20 Prozent, für andere vielleicht nur zwei Prozent mehr. Aufgrund unserer Kalkulation, wissen wir, wo es klemmt. Aber die Möglichkeiten sind begrenzt und man kann nicht alles gemäß der Kalkulation auf die einzelnen Positionen aufteilen.“

Den Effekt eines solchen Vorgehens sehe man an vielen Verträgen. „Wenn man jahrelang immer nur prozentual erhöht und die Preise linear bei den Positionen steigen lässt, bekommt man deutliche Verschiebungen im Preisgefüge. Die Preise stehen dann nicht mehr im Verhältnis zu den Kosten für die erbrachte Leistung“, erläutert der ZVOS-Vizepräsident.

Dabei kann Jens Schulte durchaus nachvollziehen, warum so verfahren wird. Für die Kassen seien damit die Vertragsverhandlungen schneller erledigt. Und auch seinen Kollegen, die in den einzelnen Ländern die Verhandlungen führen, will er keinen Vorwurf machen. „Die Primärkassen sind regional oft sehr stark, mit einem Marktanteil von manchmal 50 oder 70 Prozent. Das ist natürlich eine Marktmacht, gegen die schwer zu bestehen ist. Da kann man nicht immer hart bleiben und einen vertragslosen Zustand riskieren.“

Struktur und Preisniveau der Verträge müssen sich angleichen

Die vielen unterschiedlichen Abschlüsse machen es jedoch schwerer, mit den bundesweit agierenden Kassen Verträge mit guten Rahmenbedingungen und Preisen abzuschließen. Dass das Vertragsniveau, das man teilweise mit den bundesweiten Kassen umgesetzt habe, nicht mehr zu den Verträgen in den einzelnen Bundesländern passt, bleibe auch den Kassen nicht verborgen. „Die Kassen wissen sehr gut untereinander Bescheid, welche Verträge abgeschlossen wurden“. Und da komme es schon vor, dass eine Kasse einen Landesvertrag auf den Tisch legt und fragt, warum denn das Preisniveau eines einzelnen Bundeslandes, das niedrig abgeschlossen hat, nicht auch auf Bundesebene möglich ist.

Von der aktuellen Situation will sich Schulte jedoch nicht entmutigen lassen. In den letzten Jahren habe man deutliche Verbesserungen erzielt. „Wir arbeiten darauf hin, dass sich die Preise an unserer Kalkulation orientieren und nicht nur linear erhöht werden. Wir wollen niemanden übervorteilen oder möglichst hohe Preise erzielen“, betont er. „Wir streben nur das von uns erarbeite Kalkulationsniveau an“.

Deshalb lehnt man beim ZVOS auch die aktuelle Entwicklung bei den sogenannten Open-House-Verträgen ab, die mit der Vermeidung einer Ausschreibung begründet werden. „Im Heil- und Hilfsmittel Versorgungsgesetz wurde klargestellt, dass Ausschreibungen bei Hilfsmitteln nicht zweckmäßig sind“, erklärt Schulte. Die Argumention der Kassen, die derzeit versuchen, dieses Modell am Markt durchzusetzen, kann er deshalb nicht nachvollziehen. „Wir arbeiten im Bereich der individuellen Hilfsmittel. Das muss verhandelt werden.“ Eine sogenannte Markterkundung als Grundlage für die Preisgestaltung reiche nicht aus, um auf Verhandlungen mit den Leis­tungserbringern verzichten zu können.

PG 08 fehlt die Kompetenz des Handwerks

Uwe Branscheidt (Foto: ZVOS/A. Schieber)

„Wir machen mit der Neuordnung einen Schritt zurück, statt in die Zukunft“, sagt Uwe Branscheidt , Vorstandsmitglied im ZVOS und Landesinnungsmeister von Sachsen, zur Fortschreibung der Produktgruppe 08. Aus seiner Sicht sind die Produktbeschreibungen viel zu spezifisch verfasst und entsprechen nicht mehr dem aktuellen Stand der Versorgungsmöglichkeiten. Wenn bei einer Bettungseinlage genau vorgeschrieben ist, dass man eine Lederdecke in einer bestimmten Stärke verwenden muss, dann seien das Vor­gaben, die in der Praxis unheimlich ein­engen.

„Wenn wir dem Hilfsmittelverzeichnis gerecht werden wollen, haben wir weniger Individualität und weniger Entscheidungsmöglichkeiten, andere Versorgungen umzusetzen, wenn es im Einzelfall sinnvoller ist.“ Branscheidt zählt weitere Verschlechterungen auf, etwa die Streichung des Formabdrucks bei vielen Indikationen oder die Fixierung auf den Einsatz von Rohlingen. „Die handwerklich gefertigte Einlage, so wie sie viele Kollegen noch machen und machen wollen, ist im Hilfsmittelverzeichnis nicht mehr ausreichend abgebildet“, beklagt er.  Sie sei in die Gruppe der Ein­lagen für schwere Fußdeformitäten abgewandert, für die man einen Kosten­voranschlag  benötige.

Wie sich die Neufassung der Indikationen in der Praxis auswirkt, müsse man abwarten, erklärt Uwe Branscheidt. Diese seien viel enger gefasst als in der alten Version. „Ich lese das so,  dass das nur Vorschläge sind. Aber in den letzten Jahren haben die Krankenkassen immer mehr Fachberater eingestellt, die genau Verordnung, Indikation und Ausführung kontrollieren“.  Das könne zu vermehrten Ablehnungen führen, auch wenn die Versorgung im Einzelfall für den Patienten richtig ist.

Die Neufassung der Produktgruppe hat zu großen Verunsicherungen geführt. Drei bis vier seiner Kollegen rufen am Tag bei ihrem Obermeister an und wollen wissen, wie sie die Regeln des Hilfsmittelverzeichnisses umsetzen sollen. Die Verunsicherung ist auch bei den Ärzten groß. „Bei vielen ist noch gar nicht angekommen, dass es die neuen Regeln gibt“, ist seine Erfahrung. So gelte die neue Produktgruppe zwar schon seit

1. April dieses Jahres. Der Ärzteverband in Sachsen habe seine Mitglieder aber erst Mitte Mai darüber informiert, kurz bevor die Übergangsfrist für die Abrechnung nach altem System abgelaufen sei.

Das Ergebnis seien viele falsch ausgestellten Rezepte, welche man nun selber im Kontakt mit dem Arzt – oder der Patient selber – ändern müsse. Das koste Zeit, die ohnehin schon knapper geworden sei, weil die Beratungspflichten durch das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz viel umfangreicher geworden seien. Teilweise seien diese direkt in die neue PG 08 übernommen worden.

Branscheidt will jedoch nicht nur über die Neufassung der PG 08 klagen. Dass der Orthopädieschuhmacher jede Einlage in den Schuh des Patienten einpassen müsse, stärke die Betriebe, weil die Abgabe im Betrieb erfolgen müsse, so wie es auch sein sollte. Ebenfalls positiv sieht er, dass Schaleneinlagen jetzt auch für Erwachsene eingesetzt werden können. 

Frustrierend aus Sicht des Zentralverbandes ist dennoch, dass fast alle Vorschläge von Seiten des Handwerks vom GKV-Spitzenverband nicht berücksichtigt wurden. „Wir hatten schon 2014 als ZVOS eine umfangreiche Ausarbeitung mit Vorschlägen zur Neuordnung der PG 08 abgegeben. Da haben sich unsere Kollegen wirklich Gedanken gemacht, wie man die Versorgung zukunftsfähig gestalten kann. Das wurde alles mehr oder weniger abgeschmettert“, so Branscheidt.  Das einzige was von den Vorschlägen übrig geblieben sei, seien die Bezeichnungen der Einlagentypen.

Klage soll Überarbeitung der Produktgruppe erzwingen

Mit der Festsetzung der Festbeträge wurde offenbar nun eine Grenze überschritten. Der  ZVOS klagte, gemeinsam mit anderen Leistungserbringern, gegen den GKV-Spitzenverband. In der Klage wird  die Aufhebung der Festbeträge gefordert, weil sie ein rechtswidriger Verwaltungsakt seien (s. Beitrag Seite 13). Branscheidt hatte die Mitwirkung des ZVOS angestoßen. „Wir wollen der Sache mehr Schub verleihen, wenn wir als bundesweite Vertretung dabei sind“, erklärt Branscheidt. „Ich  sehe die Klage auch als Signal an den GKV-Spitzenverband, dass man so mit den Leistungserbringern nicht umgehen kann.  Sie sollen uns nicht nur anhören, sondern mitsprechen lassen und auch die Ratschläge der Leistungserbringer, die an der Basis arbeiten, mit einfließen lassen“.

Zusätzlich klagen die Innungen Sachsen-Anhalt und Sachsen auf eine Offenlegung der Kalkulationen. „Die jetzige Kalkulation bildet die wirkliche Situation nicht ab“, sagt Branscheidt. „Da ist nur die Fertigung, basierend auf einem Rohling, drin. Damit kann man kein individuelles Hilfsmittel herstellen, sondern das läuft auf eine Abgabe von Rohlingen hinaus.“

Bezüglich der Klagen ist Branscheidt verhalten zuversichtlich. „Meine Hoffnung ist, dass wir mit der Klage erreichen, dass der GKV-Spitzenverband die PG 08 überarbeitet oder zumindest die Preise ordentlich ermittelt.“

 

Ausgabe 07 / 2017

Artikel als PDF herunterladen

Herunterladen