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31. Oktober 2022
Christina Baumgartner
MBO-Jahrestreffen 2022

Von der Sporteinlage bis zum Skischuh

„Einlagen: Laufen – Springen – Spielen“: Unter diesem Motto stand das Jahrestreffen des Freundeskreises der Meisterbildungsstätte Bayern für Orthopädie-Schuhtechnik e.V. (MBO), das am 23. September in der BMW-Welt in München stattfand. Themen waren unter anderem biomechanische Aspekte und funktionelle Grundlagen, die Einlagenfertigung, aber auch Probleme mit Skischuhen.
MBO-Jahrestreffen
Foto: C. Maurer Fachmedien
Die gut besuchte MBO-Tagung fand in diesem Jahr wieder in der BMW-Welt statt.

Nach zwei digitalen Veranstaltungen in den Jahren zuvor war die Freude über die Vor-Ort-Tagung am 23. September 2022 in der BMW-Welt in München groß. „Es freut uns, dass wir – wie vor Corona – volles Haus haben und ausgebucht sind. Das zeigt, dass Bedarf und Lust da ist, sich zu treffen und sich auszutauschen“, sagte der Freundeskreis-Vorsitzende Magnus Fischer bei der Begrüßung. Traditionell sei Sport das Kernthema des jährlich stattfindenden MBO-Jahrestreffens. So stand die Veranstaltung dieses Mal unter dem Motto „Einlagen: Laufen – Springen – Spielen“, womit Spielen im Sinne des Sportspiels gemeint war.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurden fünf OSM für 25-jährige Mitgliedschaft mit der silbernen Ehrennadel und einer Urkunde geehrt: Clemens Hagen (Ikeda-Machi-Nagano-Ken, Japan), Dirk Voggenauer (Prien), Hubert Eisenschmid (Kiefersfelden), Marcus Kaumeier (Polsingen) und Stefan Kirchgäßner (Miltenberg).

Biomechanische Aspekte und funktionelle Grundlagen

Den Einstieg in das Vortragsprogramm machte Prof. Wilfried Alt vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Stuttgart, der Laufen, Springen und Spielen unter biomechanischen Aspekten betrachtete. Neben Fußball fasste er auch andere Ballsportarten ins Auge – Handball, Basketball, und Volleyball. „Es gibt viele Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Belastung der unteren Extremität, aber es gibt auch wesentliche Unterschiede“, so Alt. „Verletzungsprophylaxe heißt: das Wichtigste ist das Erkennen des Problems. Dann kommt der zweite wichtige Schritt, auf dem heute der Schwerpunkt liegt: Das Verständnis der eigentlichen funktionellen Mechanismen dahinter“. Es gehe nicht nur darum, die Funktion, sondern auch die Form zu erfassen. „Anatomie und Physiologie, Form und Funktion bilden eine untrennbare Einheit und das spielt beim Laufen, Gehen und Springen eine entscheidende Rolle“. Er machte deutlich, dass Laufen, Springen und Spielen zu komplexen Belastungen der unteren Extremitäten führen. Das Ausmaß sei sehr variabel, es komme darauf an, individuelle Betrachtungen vorzunehmen, pauschale Lösungen und Beurteilungen seien unmöglich. „Wenn man wissen will, ob ein Spieler in eine Überlastungsphase kommt, muss man ihn individuell beobachten, in Spiel und Training“, so Alt. „Entscheidend ist, dass wir schnelle Richtungswechsel, Cuttings, in allen Spielsportarten finden und dass diese auch mit großen horizontalen und vertikalen Bodenreaktionskräften in Verbindung stehen – bis zum Vierfachen des Körpergewichts“. Laufen, Springen und Spielen führe ­zudem zu unterschiedlichen Komponenten der Bodenreaktionskräfte und es gebe unterschiedliche Kontaktzeiten. Die größten Horizontalkräfte treten bei Cuttings (mediolateral) und Sprungwürfen (anterior – posterior) auf. Wichtig sei, auf Sprung- und Knielegelenk zu schauen: Die Knie- und Sprunggelenksmuskulatur muss als funktionelle Einheit zusammenwirken.

Mit einem Beispiel aus dem US-Open-Finale im Jahr 2020, in dem Alexander Zverev Domink Thiem im Tiebreak unterlag, begann Univers. Dr. med. Stefan Trobos aus Schwaz (Österreich) seinen Vortrag. Er erklärte anschaulich die funktionellen Grundlagen für einen gesunden Bewegungsablauf, zeigte, wie Bewegung entsteht, Motorik erlernt und Bewegungsabläufe im Gehirn gesteuert werden. „Das Zusammenspiel aller Faktoren ist entscheidend, damit es zu einer gesunden Bewegung kommt, die individuell angepasst ist. Das heißt, es kann nicht jeder Top-Fußballer werden“, meinte Trobos, der zum Schluss noch darauf hinwies, dass Probleme an der Fußsohle sehr wohl auch durch eine Störung im Kiefergelenk bedingt sein können und der Körper als Ganzes gesehen werden sollte.

Prof.
Foto: C. Maurer Fachmedien
Prof. Wilfried Alt ging auf biomechanische Aspekte ein.

Funktionelles Training als Ergänzung zur Einlagenversorgung

Ein Konzept aus seinem eigenen Betrieb stellte OSM Michael Kriwat vor: Funktionelles Training als Ergänzung zur Einlagenversorgung. Einfluss auf die Laufbewegung wird hier nicht nur durch orthopädische Einlagen, sondern auch durch ein kontinuierliches funktionelles Training für den Läufer genommen. Wichtig sei es, nicht nur den Fuß als „Problemsituation“ zu sehen, sondern die funktionellen Ketten, so Kriwat. Anhand einer Bewegungssituation auf dem Laufband mit fehlender Stabilisierung im Hüftbereich zeigte er, wie durch Training Defizite beeinflusst werden können. „Wenn man nur das Sprunggelenk anschaut oder eine Einlage nach Trittspur fertigt, kann man das natürlich nicht erkennen“, gab der OSM zu bedenken. Der Betrieb mit Standorten in Kiel, Hamburg und Preetz bietet verschiedene Kurse an, zum Beispiel den digitalen Warm-Up-Guide, ein Aktivierungsprogramm für Läufer und Ballsportler, einen Functional-Training-Kurs speziell für Läufer oder ein zehnwöchiges intensives Laufstrategie-Trainingsprogramm. Auch während der Pandemie konnte dank der digitalen Angebote weiter trainiert werden. Kurz vor der Mittagspause brachte Michael Kriwat dann noch Bewegung in den Saal, indem er die Tagungsteilnehmer zu einer kleinen sportlichen Übung aufforderte.

OSM Magnus Fischer (Fischer Fussfit GmbH, Burglengenfeld) beschäftigte sich anschließend mit der Frage „Wo sind relevante Unterschiede beim Laufen, Springen und Spielen, die in der Einlagenfertigung und beim Sportschuh berücksichtigt werden müssen?“ und stellte Anforderungen, Belastungen und die Konsequenzen bei der Anfertigung und Konstruktion der Einlagen dar.

Rohlinge, Fräsen und 3D-Druck

OSM Peter Wimmer aus Rosenheim thematisierte die Einlagenherstellung mit Hilfe von Rohlingen. Er ging auf Markt und Möglichkeiten ein sowie auf die Frage: Warum noch Rohlinge verwenden? Vorteile gegenüber anderen Herstellungsverfahren sind aus seiner Sicht unter anderem die Modellvielfalt, dass wenig Geräte, Maschinen und Software nötig sind, es verschiedenste Möglichkeiten der Weiterverarbeitung bzw. Individualisierung gibt und beinahe alle Materialien und Kombinationen verwendet werden können.

Was ist Fräsen überhaupt? Wie wird es in der Orthopädieschuhtechnik eingesetzt? Was sind Vor- und Nachteile des Fräsens? Lukas Fischer (Fischer Fussfit GmbH, Burglengenfeld) brachte den Teilnehmern diese Technik der Einlagenherstellung näher. Ein Vorteil sei die maschinelle Genauigkeit und Reproduzierbarkeit des Ergebnisses. „Das bedeutet aber, dass der Input, den ich meiner Fräse gebe, von entsprechender Qualität sein muss. Die Arbeit vorher muss gut gemacht worden sein – schlechter Input, schlechtes Produkt“, gab Fischer zu bedenken. Sein Fazit: „Es muss sich nicht überall der 3D-Druck durchsetzen“. Das sei zwar eine vielversprechende Technologie mit enormen Möglichkeiten, aber grundsätzlich müsse jedes Fertigungsverfahren genau ausgewählt und dort eingesetzt werden, wo es qualitativ und wirtschaftlich sinnvoll ist. „Fräsen verspricht in der Einlagenherstellung qualitativ hochwertige Ergebnisse und ist derzeit der Status quo“, so Fischer. Das Thema Nachhaltigkeit sei allerdings noch ausbaufähig: „Wenn es den Herstellern gelingt, die Recyclingproblematik – Verschnitt beim Fräsverfahren, der im Müll landet – zu lösen, ist einer der wichtigen Punkte für die Zukunft gemeistert“.

Einen Einblick in den 3D-Druck gab anschließend Lais Kriwat. 2017 wurde im elterlichen Betrieb der erste 3D-Drucker gekauft, erzählte der 24-jährige OSM. Besonders in puncto Nachhaltigkeit sieht er den 3D-Druck gegenüber anderen Verfahren im Vorteil. „Der Materialverbrauch beschränkt sich auf das Nötigste. Wir drucken nur die Einlage, also nur das, was wir brauchen“, erklärte Kriwat. Wenn Material weggeworfen werde, könne dieses zerhäckselt und daraus neue Rollen geschaffen werden. Im Betrieb werden auch Probeschuhe im FDM-Verfahren gedruckt. Nach der Anprobe durch die Kunden können diese dann recycelt und daraus anschließend neues Material geschaffen werden. „Ich höre immer, der 3D-Druck ist die Zukunft, aber die Zukunft ist jetzt. Wir müssen uns jetzt damit beschäftigen “, gab Kriwat zu bedenken.

Skifahren: Probleme und Schmerzen

Stephan Riedl ist Orthopädieschuhmachermeister mit eigenem Betrieb in Ohlstadt in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Der staatlich geprüfte Skilehrer ging näher auf das „Reiz-Reaktionsverfahren des menschlichen Körpers in Bezug auf Ski- und Skitourenschuhe und daraus resultierende Probleme/ Schmerzen beim Skifahren“ ein. „Im Skischuh ist unser Fuß in einem Milieu, in das er nicht gehört“, erklärte Riedl gleich zu Beginn. „Der Schuh ist hart, der Fuß aber ist ein dynamisches, flexibles System.“ Die falsche Haltung beim Skifahren führe zu Problemen, wie schnellerem Ermüden durch muskuläre Anspannung, steigende Verletzungsgefahr, schlechte Durchblutung und Druckstellen. Ursächlich können eine verkürzte Muskulatur, zu wenig Stabilität (Rumpf-Rücken-Glutealmuskulatur), Alltagsstress, zu wenig und zu monotone Bewegung oder auch die falschen Skischuhe sein. „In meinen Augen sind 75 Prozent der Skischuhe zu groß“, betonte Riedl. Präventiv könne unter anderem Skigymnastik, Rumpf- und Rückengymnastik, Koordinationstraining, Dehnen oder Yoga sowie ein Skifschuhfitting zum Einsatz kommen.

Um „Probleme mit Ski- und Skitourenschuhen sowie Lösungsansätze und Erfahrungen aus der Praxis“ ging es im Vortrag von Martin Mitterer aus Tegernsee. Auch er hat beobachtet, dass Skischuhe oft zu groß verkauft werden. „Dann versucht man automatisch, den Skischuh mit den Füßen festzuhalten, die Plantarfaszie verkrampft, die Sohle brennt, die Schale wird zu fest zugeschnallt und die Durchblutung dadurch beeinträchtigt“, erklärte der OSM. Er betonte, wie wichtig die richtige Skischuhauswahl ist und stellte verschiedene Skischuh- und Innenschuhtypen vor. Ist der richtige Schuh ausgewählt, muss dieser dann passend gemacht werden. „Die Passform kommt zu 80 Prozent von unten – über das Fußbett“, erklärte Mitterer. Wichtig sei, eine vollflächige Auflage zu schaffen, um eine direkte Kraftübertragung zu bekommen. „Nur so kann der Ski gut kontrolliert werden“, so Mitterer. Mit der vollfächigen Auflage stehe der Fuß entspannter und es könne lockerer gefahren werden, auch die Durchblutung sei besser. In seinem Betrieb in Tegernsee verwendet er dafür eine Korkeinlage bzw. -rohling, der mit Vakuum am Fuß angesaugt und modelliert wird. Wichtig sei, dass die Einlage aus stabilem Material bestehe und dem hohen Druck im Skischuh nicht nachgebe, so der OSM, der anschließend noch auf Möglichkeiten der Anpassung an die Schale einging und drei Versorgungsbeispiele vorstellte.

Vom Skischuh zum Laufschuh: Die True Motion Running GmbH in Münster wurde 2018 von Prof. Gert-Peter Brüggemann, Christian Arens und Andre Kriwet gegründet. Eva Hirschhäuser stellte den Teilnehmern die „Laufschuhentwicklung – von der Wissenschaft zur Praxis“ sowie die verwendete „U-Tech“-Technologie, Wirkungsweise und Konstruktion vor.

Die
Foto: C. Maurer Fachmedien
Die Referenten (v. l.): Lukas Fischer, Lais Kriwat, Michael Kriwat, Dr. Stefan Trobos, Eva Hirschhäuser, Stephan Riedl, Magnus Fischer, Martin Mitterer, Peter Wimmer.
Foto: Andrey Popov/Adobe Stock
Schuhsohle
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