Chancen der neuen Leitlinie Lymphödem

Im Mai dieses Jahres trat die neue S2k Leitlinie Diagnostik und Therapie der Lymphödeme in Kraft. Dr. Anya Miller entwickelte die Leitlinie als Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Lymphologie (DGL) maßgeblich mit. In einem Interview mit dem Unternehmen Medi sprach sie nun über die Chancen, die sich aus der neuen Leitlinie ergeben und erklärte, weshalb Patienten mehr Verantwortung übertragen werden sollte, um sie aktiv in die Therapie einzubinden.
„Wir haben die gesamte Lymphödem-Behandlungskette neu definiert. Die erste Version der Leitlinie stammt aus dem Jahr 2000. Viele aktuelle operative und diagnostische Verfahren gab es damals noch nicht. Eine wichtige Rolle in der Lymphtherapie nimmt die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) ein. Diese ist nun klar dargestellt“, so Dr. Anya Miller im Interview. Außerdem sei das Selbstmanagement der Patienten in den Mittelpunkt gerückt worden. Die neue Leitlinie bilde den aktuellen wissenschaftlichen Stand ab und räume mit veralteten Ansichten auf. Beispielsweise bei einem Erysipel (Wundrose), einer bakteriellen Infektion im Unterhautfettgewebe, die mit Antibiotika behandelt wird. Früher sei die Lymphdrainage dabei für mehrere Wochen ausgesetzt worden. „Heute sehen wir das anders. Das Antibiotikum greift in der Regel bereits nach zwei Tagen. Dann sollte die Therapie mit der manuellen Lymphdrainage fortgesetzt werden.“, so Dr. Miller zu den wichtigsten Neuerungen innerhalb der optimierten Leitlinie
Eine große Rolle spielt laut Dr. Miller das Selbstmanagement des Patienten bei der Therapie: „Die Therapie steht und fällt mit der Mitarbeit des Patienten. Der Patient solle die Therapiebausteine verstehen und in der Lage sein, einen Kompressionsverband selbst anzulegen. So werde ein Teil der Verantwortung auf den Patienten übertragen – das mache ihn unabhängiger. Auch der Fachhandel sei dazu aufgerufen, den Patienten aufzuklären.
Für die tägliche Arbeit erhofft sich Dr. Miller von der neuen Leitlinie, dass zukünftig noch befundabhängiger verordnet werde. Die KPE müsse nicht zwingend zweimal pro Woche stattfinden, sondern so, wie es die individuelle Erkrankung und die Lebensumstände des Patienten erfordern: „Ein Ödem ist im Sommer meist stärker ausgeprägt als im Winter – also brauche ich im Winter vielleicht weniger Lymphdrainagen. Ist der Patient im Urlaub, kann er die Beine öfter hochlegen oder schwimmen gehen. Auch dann kann gegebenenfalls auf die zwei Termine pro Woche verzichtet werden. Ist es hingegen extrem heiß und sind die Beine zum Beispiel durch eine Verletzung besonders stark geschwollen, empfehlen sich mehr als zwei Lymphdrainagen pro Woche“.
Die neue Leitlinie biete Kostenträgern außerdem eine saubere Grundlage für Verhandlungen. „Ich denke, dass die Leitlinie die Lymphologie innerhalb der Medizin besser positioniert und aufzeigt, mit wie vielen anderen Fachgebieten sie zusammenhängt“, so Dr. Miller. Die Leitlinie bilde die Basis für mehr Bewusstsein und Sensibilität sowie für mehr Informationen für Arzt, Therapeut, Fachhandel und Patient.