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„Mit uns läuft es! Die Mobilmacher“ – mit diesem Slogan wirbt der 1917 gegründete Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) für Nachwuchs in seinem Gesundheitshandwerk. Orthopädie-Schuhmacher fertigen Hilfsmittel wie Einlagen, Fußbettungen bis hin zu orthopädischen Maßschuhen, die an die individuellen Bedürfnisse von gesunden oder erkrankten Menschen abgestimmt sind.
Sie sorgen für ein schmerzreduziertes bis schmerzfreies Gehen, Stehen und Laufen und erzielen so Mobilität für jedermann. Welche Voraussetzungen sollten Bewerber mitbringen und welche Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen werden während der Ausbildung erworben? Das erläutert der folgende Artikel.
Handwerkliche Begabung, Technisches Grundverständnis und soziale Kompetenz
Der Beruf des Orthopädie-Schuhmachers verbindet Handwerk mit Hightech und Beratungskompetenz. Moderne Laufband- und Ganganalyse, je nach Anbieter 3-, 4- oder 5D genannt, sowie Körperscanner liefern eine Fülle von Analysedaten zur Haltung und zum Bewegungsverhalten des Patienten. Auf Grundlage dieser Daten werden in Handarbeit die individuellen Hilfsmittel erstellt oder umgearbeitet. Eine Fußfehlstellung wie Knick-, Senk- oder Spreizfuß kann beispielsweise Überlastungen oder Reizzustände hervorrufen, die sich – beginnend am Sprunggelenk – bis hinauf zum Knie- und Rücken auswirken können. Mit Hilfe maßgefertigter orthopädischer Einlagen korrigieren Orthopädie-Schuhmacher solche Fehlstellungen und verhindern das Risiko, dass Überlastungen oder Reizzustände auftreten. Davon können sowohl Sportmuffel als auch Freizeit-, Breiten- oder Leistungssportler profitieren. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld für Orthopädie-Schuhmacher ist die Versorgung von Folgen chronischer Erkrankungen wie Rheuma oder Diabetes mellitus am Fuß. Laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sind in Deutschland mehr als sechs Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt. Pro Jahr kommen nach Schätzungen der DDG etwa 300.000 Patienten hinzu. Das Diabetische Fußsyndrom – also Empfindungsstörungen, Geschwüre oder Verformungen an Füßen und/oder Unterschenkeln – kann sich infolge einer Diabeteserkrankung entwickeln. Experten von ZVOS und DDG sind sich einig: Individuell angepasste Schutzschuhe für Diabetiker können das Risiko für solche Folgeerscheinungen am Fuß vermindern und so z. B. eine frühzeitige Amputation verhindern. Derzeit gibt es ca. 40 000 Amputationen pro Jahr zu beklagen. Prävention tut not. Jenseits der Erstellung oder Anpassung von Hilfsmitteln gehört die Beratung der Kunden und Patienten über die Handhabung und Wirkungsweise der Hilfsmittel oder über vorbeugende und gesundheitsverbessernde Maßnahmen ebenfalls zu den Aufgaben des Berufsfelds.
Der sensible Umgang mit Patienten und Kunden ist dabei ebenso wichtig wie die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten, Podologen, Diabetesberatern und Orthopädietechnik-Mechanikern. Wer den Beruf erlernen will, sollte daher handwerkliches Geschick, technisches Grundverständnis, Interesse an medizinischen Themen und soziale Kompetenz mitbringen. Auch für kreative Menschen ist der Beruf ideal. Ein mittlerer Schulabschluss wird für die Ausbildung empfohlen.
42 Monate duale Ausbildung
Orthopädie-Schuhmacher erlernen ihren Beruf in Form einer „Dualen Ausbildung“ im Ausbildungsbetrieb und in einer der zehn Berufsschulen (siehe Seite 74). Sie erstreckt sich über 42 Monate und erfolgt zumeist blockweise, sodass Auszubildende über einen Zeitraum von mehreren aufeinanderfolgenden Tagen oder Wochen am Stück in der Berufsschule Unterricht haben bzw. im Betrieb tätig sind.
Hand im Hand: Betriebliche und schulische Ausbildung
Derzeit gibt es nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) 2.529 Orthopädie-Schuhmacher-Betriebe in Deutschland. Diese Betriebe sind für die Vermittlung des praktischen Teils der Ausbildung zuständig. Welche Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten im Detail im Betrieb erworben werden sollen, ist in der „Verordnung über die Berufsausbildung zum Orthopädieschuhmacher und zur Orthopädieschuhmacherin“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) in Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom 16. Juli 2015 festgelegt. Der ZVOS hat daran mitgewirkt. Die Verordnung sieht eine zweiteilige Gesellenprüfung vor und legt im Ausbildungsrahmenplan die Inhalte der Ausbildung bundesweit einheitlich fest. Die Inhalte der schulischen Ausbildung wurden hingegen von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (Kultusministerkonferenz) am 26. März 2015 beschlossen und im „Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf Orthopädieschuhmacherin und Orthopädieschuhmacher“ zusammengefasst. Da jedes Bundesland für die Gesetzgebung des Schul-, Hochschul- und Erziehungswesens innerhalb seiner Landesgrenzen zuständig ist, kann es den Rahmenlehrplan eins zu eins übernehmen oder einen eigenen Lehrplan aufstellen, der sich eng an die Vorgaben der Kultusministerkonferenz anlehnt. Beide – die Ausbildungsverordnung und der Rahmenlehrplan von 2015 – tragen den Veränderungen im Berufsfeld Rechnung: Immer mehr Privatkunden nehmen die Leistungen von Orthopädie-Schuhmachern in Anspruch und gleichzeitig sorgen die technischen Entwicklungen beständig für neue Materialien sowie Herstellungs- und Analysetechniken.
Von Anatomie bis Verkaufsgespräch
Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung in einzelnen Kammerbezirken
Nach Angaben des ZDH boten 2018 fünf der 53 Kammerbezirke in Deutschland zusätzlich eine „Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung“ (ÜLU) an. Damit erhalten Auszubildende von Betrieben, die aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage sind, alle Ausbildungsinhalte anzubieten und immer die neuesten Technologien einzubeziehen, den gleichen Wissensstand wie ihre Kollegen in großen, alle Bereiche umfassenden Betrieben. Stehen ÜLUs im Kammerbezirk zur Verfügung, ist ihr Besuch für Auszubildende Pflicht und ein Zulassungskriterium für die Gesellenprüfung. Die für den jeweiligen Ausbildungsbetrieb zuständige Handwerkskammer gibt Auskunft, ob für den Jahrgang eine ÜLU geplant ist.
Arbeitsaufgaben selbstständig planen, durchführen und beurteilen
Auch für den Rahmenlehrplan gibt es keine Vorgaben zur Methodik des Unterrichts. Er baut laut Kultusministerkonferenz auf dem Niveau des Hauptschulabschlusses auf und fasst die Mindestanforderungen für den Abschluss der Ausbildung als Orthopädie-Schuhmacher zusammen. Der Bildungsauftrag der Berufsschulen lautet: Vermittlung von berufsbezogenen und berufsübergreifenden Handlungskompetenzen, damit die Auszubildenden ihre Arbeitsaufgaben selbstständig planen, durchführen und beurteilen können.
In insgesamt 980 Unterrichtsstunden – 280 Stunden pro Ausbildungsjahr – wird der vorgesehene Stoff in fünf Handlungsfelder unterteilt: Reparieren, Umarbeiten, Herstellen, Beraten und Verkaufen sowie Fußpflege. Neben den klassischen orthopädieschuhtechnischen Inhalten wie Reparieren, Anpassen oder Erstellen von orthopädischen Schuhen, Maßschuhen, Einlagen, Bettungen oder Orthesen nimmt die Beratung der Kunden und der Verkauf von Hilfsmitteln einen großen Raum im Rahmenlehrplan ein. Insbesondere für Beratung und Verkauf sieht der Plan das Erlernen fremdsprachiger und interkultureller Kompetenzen vor. Die Berufsschulen sollen zudem anatomische, pathologische, physiologische, biomechanische und mathematische Inhalte vermitteln. Im ersten Lehrjahr ist daher aus Sicht der Kultusministerkonferenz eine gemeinsame Beschulung mit Auszubildenden des Bereichs Orthopädietechnik-Mechanik möglich. Denn laut Rahmenlehrplan sollen auch die angehenden Orthopädie-Schuhmacher Vorkenntnisse im Schaft- und Prothesenbau erwerben.
Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung: Fünf Themen – Fünf Kurswochen
Im Jahr 2018 boten einige Handwerkskammern in Deutschland zusätzlich zur betrieblichen und schulischen Ausbildung in ihren produktionsunabhängigen Werkstätten überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen an. Damit soll ein breites, einheitliches Ausbildungsniveau unabhängig von der Spezialisierung oder den Bedingungen des einzelnen Ausbildungsbetriebs erzielt werden. Für die ÜLUs gilt ein Lehrunterweisungsplan, der vom Heinz-Piest-Institut für Handwerkstechnik an der Leibniz Universität Hannover in Abstimmung mit dem Zentralverband Orthopädieschuhtechnik (ZVOS) erarbeitet wurde. Der Lehrunterweisungsplan für Orthopädie-Schuhmacher vom August 2016 sieht fünf Themenbereiche vor: 1) Orthopädische Schuhzurichtung, Einlagen in Sonderfertigung, Materialverarbeitung und Abformtechniken; 2), diabetesadaptierte Fußbettung, Druckmessung und Versorgung mit konfektionierten Therapieschuhen; 3) Leisten- und Schaftherstellung; 4) Fußorthesen, Kompressions- und Bandagenversorgung, Fußpflege; 5) Moderne Analyseverfahren, Propriozeption und Sensomotorik, Marketing. Pro Thema ist eine Kurswoche angesetzt.
Gesellenprüfung in zwei Schritten
Die Ausbildungsverordnung sieht eine zweiteilige Gesellenprüfung vor. Nach 18 Monaten Ausbildung werden die bis dahin erworbenen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten abschließend geprüft. Auszubildende haben maximal sieben Stunden Zeit, um im Prüfungsbereich „Planen und Anfertigen von orthopädischen Schuhzurichtungen“ zwei Arbeitsproben zu erstellen. Zusätzlich müssen sie in höchstens 90 Minuten schriftliche Aufgaben beantworten. Der zweite Teil der Gesellenprüfung findet am Ende der 42 Monate in vier Bereichen statt. Er umfasst ein maximal 15-minütiges Beratungsgespräch in Form eines Rollenspiels sowie schriftliche Prüfungen von maximal 180 Minuten im Bereich „Orthopädie-Schuhtechnik“ und von maximal 60 Minuten zum Thema „Wirtschafts- und Sozialkunde“. Kernstück des zweiten Teils der Gesellenprüfung ist der Bereich „Anfertigung von orthopädischen Hilfsmitteln“. Innerhalb von zwölf Stunden müssen die Auszubildenden ein Paar Maßschuhe anfertigen und innerhalb von weiteren vier Stunden eine Sondereinlage erstellen, die in den Schuh eingepasst wird.
Durchschnittlich rund 200 Gesellen und Gesellinnen bestehen pro Jahr die Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher bzw. zur Orthopädie-Schuhmacherin. Der Anteil der Frauen ist in den letzten Jahren von einem Drittel auf knapp 40 Prozent gestiegen.
Große Spannbreite bei Vergütung und Unkosten
Die Ausbildungskosten für Lernmaterialien und für Fahrten zum Betrieb bzw. zur Berufsschule variieren stark. In einigen Bundesländern werden die Kosten für Lehrbücher komplett von der öffentlichen Hand übernommen, in anderen müssen sich Auszubildende an einem Teil der Kosten beteiligen. Je nach Entfernung zwischen der elterlichen Wohnung und dem Betrieb bzw. der Berufsschule können hohe Fahrtkosten entstehen, sodass ein Umzug in die eigenen vier Wände sinnvoll sein kann. Ähnlich variabel gestaltet sich die Vergütung je nach Bundesland. Zwei Beispiele: Laut Tarifregister des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) beträgt die monatliche Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr 450 Euro, im zweiten 540, im dritten bereits 700 und im vierten und letzten Jahr 820 Euro. Im Freistaat Sachsen verdienen Auszubildende laut dem Landesinnungsverband für Orthopädie-Schuhtechnik Sachsen mit einer monatlichen Vergütung von 460 Euro im ersten sowie 580 Euro im zweiten Lehrjahr mehr als ihre Kollegen in NRW. Dafür fällt die tarifliche monatliche Vergütung in Sachsen im dritten Lehrjahr mit 630 und im vierten mit 740 Euro niedriger aus. Nach bestandener Prüfung liegt der mittlere monatliche Bruttolohn eines Orthopädie-Schuhmachers laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit bei 2.154 Euro mit Stand Ende 2016.
Berufsausbildungshilfe möglich
In Härtefällen, wenn etwa besonders hohe Fahrtkosten zum Betrieb und der Berufsschule entstehen oder aufgrund der großen Entfernung ein Umzug in eine eigene Wohnung nötig ist, können Auszubildende bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) die sogenannte Berufsausbildungshilfe (BAB) beantragen. In die Berechnung der BAB fließen die individuellen Lebensunterhaltskosten wie Miete, Fahrtkosten oder Arbeitskleidung, aber auch das Einkommen des Auszubildenden, seiner Eltern oder des Lebenspartners mit ein.
Demografischer Wandel sorgt für Vollbeschäftigung
Der demografische Wandel – der seit Jahren anhaltende Trend zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung – wird sich laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zumindest bis 2060 fortsetzen. Demnach wird die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern bis 2060 bis auf 84,8 Jahre und bei Frauen bis auf 88,8 Jahre steigen. Dieser Trend ist nach Angaben des ZVOS ein wesentlicher Grund für die derzeitige und künftige Vollbeschäftigung der Orthopädie-Schuhmacher und für den hohen Bedarf an Nachwuchskräften.
Für Orthopädie-Schuhmacher gibt es vielfache Einsatzmöglichkeiten. Sie finden Beschäftigung in Fachbetrieben des Orthopädie-Schuhmacher-Handwerks, in Sanitätshäusern mit einer Abteilung für Orthopädie-Schuhtechnik sowie in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Weitere Berufsperspektiven ergeben sich nach Abschluss der Meisterprüfung (wir berichten in der Ausgabe 12/18) oder bei Abschluss einer akademischen Aus- und Weiterbildung (Ausgabe 1/19).